Obwohl es MÜ (Maschinelle Übersetzung) schon seit 50 Jahren gibt, wissen viele Übersetzer noch relativ wenig darüber. Dazu kommt, dass der Mensch der Maschine gegenüber schon immer skeptisch war. Jede technologische Neuerung, jeder Trend aus der Welt der künstlichen Intelligenz ruft Abwehrreaktionen hervor. Manche gehen gar so weit, zu sagen, der Mensch habe als Übersetzer ausgedient.
Tatsächlich sind Humanübersetzungen weiterhin eine gefragte Leistung. Dennoch ist eine gewisse Skepsis unter den Sprachdienstleistern nachvollziehbar. Die Realität sieht so aus, dass sich die Profis inzwischen mit dem Nachbearbeiten von MÜ-Texten (via MTPE – Machine Translation Post-Editing) anfreunden und der Computer immer bessere Ergebnisse liefert. Dadurch spart die Maschinelle Übersetzung vielen Übersetzern Zeit − und den Kunden Geld.
Im Folgenden sehen wir uns einige weitverbreitete Aussagen zum Thema Maschinelle Übersetzung an und stellen sie auf den Prüfstand. Außerdem wollen wir der Frage nachgehen, ob und wie gut MÜ-Systeme übersetzerischen Herausforderungen gerecht werden.
Nach aktuellem Stand: Ja!
Kennen Sie das? Sie sehen einen Schwall automatisch übersetzter Worte und Sätze vor sich und murmeln: „Hätte ich das lieber gleich komplett selbst gemacht ... “ Willkommen im Club. Aber: Die Tage solcher minderwertigen MÜ sind gezählt.
Wenn die MÜ-Engines mit ausreichend Ergebnissen aus dem Post-Editing und voll integrierter Kundenterminologie gefüttert werden, steigt die Qualität der Übersetzungen schlagartig.
Das bedeutet nicht, dass in absehbarer Zeit perfekte Resultate herauskommen werden. Aber die Ergebnisse werden sicher schon bald so solide sein, dass sie eine gute Grundlage für eine hochwertige, durch den Menschen überarbeitete Version darstellen. Bis dahin kann man unbrauchbare oder nutzlose MÜ-Sätze einfach löschen und das betreffende Segment neu übersetzen, um den qualitativen Ansprüchen des Kunden (bzw. des Übersetzers selbst) zu entsprechen.
Vor diesem Hintergrund können wir MTPE als langfristige Investition betrachten. Das MÜ-System lernt damit, in Zukunft präziser und konsistenter zu übersetzen. Dieser langfristige Ansatz funktioniert bereits bei gut gepflegten Speichern von bisherigen Übersetzungen, sogenanntenTranslation Memorys (TMs). Jeder Übersetzer weiß, wie viel Zeit und Arbeit gute TM-Einträge sparen − selbst, wenn nur Teile eines Satzes im Speicher sind.
Die MÜ bringt den zusätzlichen Vorteil mit sich, dass die Plattform mit der Zeit bei vollständig neuem Content ähnliche Resultate erreichen kann: Die Segmente, für die im TM kein direkter Match vorhanden ist, werden dann von der MÜ-Engine erkannt.
Nach aktuellem Stand: Ja!
Der korrekte und konsistente Gebrauch der kundenspezifischen Terminologie ist eine der Grundlagen des professionellen Übersetzens − ob vom Menschen oder einer Maschine. Ein MÜ-System muss erst auf den Content eines Kunden „trainiert“ werden, bevor es die spezifische Terminologie anwenden kann. Der Post-Editor muss dann beim Nachbearbeiten Ausschau nach diesen Begriffen halten, was mitunter recht aufwendig ist.
Es ist bereits möglich, MÜ-Engines auf spezifische terminologische Anforderungen einzustellen. Dafür sind aber saubere Trainingsdaten erforderlich. Wenn die MÜ richtig trainiert wird, ist das eine große Entlastung für den Korrekturleser, der dann seine Aufmerksamkeit vermehrt anderen Aspekten widmen kann.
Mit der fortschreitenden Entwicklung der Maschinellen Übersetzung werden die Integration von Terminologie-Datenbanken und Funktionen wie das Zusammenfügen von Fragmenten immer mehr zum Standard. Diese Fortschritte können die maschinelle Erstellung von Texten stark beschleunigen und die Präzision entscheidend steigern. Irgendwann wird das Post-Editing dann für den Übersetzer zur attraktiven Basisarbeit. Gleichzeitig werden Kapazitäten frei für die Transkreation und ähnliche hochwertige Aufgaben, die nur ein Mensch erledigen kann.
Nach aktuellem Stand: Nein!
Wenn man sich die früheren industriellen und technischen Revolutionen vor Augen führt, ist klar, woher diese Befürchtung kommt. KI und automatisierte Prozesse ersetzen bereits in vielen anderen Bereichen die Arbeitskraft des Menschen − vom Chatbot im Kundendienst und dem autonomen Fahren im Transportwesen, über automatische Diagnosen und OP-Planung in der Medizin, bis hin zu KI-gestützten juristischen Recherchen in der Rechtspflege. Mit anderen Worten: Die Arbeitswelt des Menschen ändert sich und die Angst wächst, dass Automatisierung und Digitalisierung, etwa in Form Maschineller Übersetzung, unser Arbeitsleben grundlegend verändern.
Zwar greifen Unternehmen in aller Welt immer häufiger zur Maschinellen Übersetzung, um das ständig wachsende Content-Volumen zu bewältigen. Doch maschinelle Systeme allein werden den steigenden Anforderungen nicht gerecht.
Sicher ändert sich die Arbeitswelt. Dieser Trend macht auch vor der Übersetzungsbranche nicht halt. Wer je mit maschinell erstellen Texten gearbeitet hat, weiß: Das Post-Editing unterscheidet sich vom Arbeitsablauf her stark von der kompletten Neuübersetzung. MTPE ist auch etwas anderes, als den Text eines Kollegen Korrektur zu lesen. Maschinen machen nämlich im Vergleich zum Menschen andere,teils merkwürdige Fehler.
Gleichzeitig ist auch klar, dass sich das internationale Publikum in vielen Bereichen immer mehr an unvollkommene Ergebnisse gewöhnt. Die Übersetzungs-Kunden setzen daher ihrerseits auch zunehmend weniger auf Qualität. Dass die Branche all diese Entwicklungen mit einem unguten Gefühl verfolgt, ist nur allzu verständlich. Doch es gibt durchaus Anlass, optimistisch in die Zukunft zu blicken − was uns zum nächsten Punkt bringt.
Nach aktuellem Stand: Ja!
Aus der Sicht des objektiven Betrachters hat die Maschinelle Übersetzung dazu geführt, dass sich quasi jeder Übersetzungsdienste leisten kann.
Die Welt wird immer mehr zum globalen Dorf: Jeden Tag entstehen kleine Unternehmen und aufstrebende Firmen in neuen Märkten, die auf die MÜ zurückgreifen − um ihre Prozesse schlank und Kosten niedrig zu halten. Anders betrachtet: Unkorrigierte MÜ-Leistungen und MTPE werden zwar Teile des Marktes besetzen – vor allem wird aber der Markt insgesamt drastisch wachsen.
Ergo wird es genügend Arbeit für die Übersetzer geben, die sich aufs Post-Editing spezialisieren. Daneben wird es auch eine große Nachfrage nach Texten und Übersetzungen aus Menschenhand geben. Das gilt vor allem für die Wachstumsbereiche der Transkreation, der nicht für die MÜ geeigneten Fachübersetzungen und für kreatives Copywriting.
Maschinelle Systeme sind bereits gut aufgestellt, um diejenigen Texte des Kunden zu übersetzen, die besonders repetitiv und schablonenhaft sind. Doch hat MÜ auch ihre Grenzen. Ohne Post-Editing können komplett falsche Texte herauskommen − selbst, wenn das Resultat auf den ersten Blick gut aussehen und klingen mag. Ihre liebe Mühe und Not haben MÜ-Engines beispielsweise, wenn die Zeichenanzahl beschränkt ist oder es darum geht, eingebettete Software und Codes zuverlässig zu erkennen. Problematisch wird es auch, wenn komplexe Vorgaben des Kunden zu befolgen sind. Darüber hinaus fehlt einem maschinellen System komplett das Feingefühl, um bei einem spezifischen Zielpublikum die gewünschten Emotionen hervorzurufen. Eine MÜ-Engine kann keine Witze verstehen, und auch das Formulieren idiomatischer Wendungen ist weiterhin das Hoheitsgebiet versierter Humanübersetzer – was sich in absehbarer Zukunft nicht ändern wird.
Die wichtigsten Schlussfolgerungen lassen sich so zusammenfassen:
1. Vor uns liegt eine strahlende Zukunft.
2. Widerstand ist zwecklos.
Punkt zwei ist natürlich eher scherzhaft gemeint. Trotzdem steckt ein Funke Wahrheit darin: Die Maschinelle Übersetzung wird noch mehr werden. Wer davor die Augen verschließt, tut sich selbst keinen Gefallen. Wer sich hingegen als Übersetzer und Content-Lieferant richtig positioniert, darf auf eine intellektuell und wirtschaftlich gewinnbringende Karriere hoffen.
Nur kurz zur Anregung: Das Post-Editing erfordert viele Fähigkeiten, die ein Übersetzer bereits in der täglichen Arbeit anwendet. Die Technik und die Erwartungshaltung der Kunden können sich heutzutage sehr schnell ändern − ob wir es gut finden oder nicht. Starre Kompetenzprofile gehören deshalb der Vergangenheit an. Wer als Übersetzer im Zeitalter der Maschinellen Übersetzung wettbewerbsfähig bleiben will, sollte seine Fertigkeiten in den oben genannten, aufstrebenden Bereichen erweitern. Außerdem ist Flexibilität im Umgang mit neuen Technologien gefragt, die den Übersetzer unterstützen. Diejenigen, die sich am besten den neuen Gegebenheiten anpassen, werden – zusammen mit ihrem Geschäft – wachsen und gedeihen.